Dienstag, 24. Februar 2015

Der Gehetzte der Sierra Madre

La resa dei conti (Italien, 1966)

Jonathan Corbett, ein knallharter Kopfgeldjäger, wird vom steinreichen Brokston dazu überredet, statt weiterhin Galgenvögel mit Totenhemden lieber ein Amt im texanischen Senat zu bekleiden. Dort soll er ihm dabei helfen, seinen Plan von einer Eisenbahnlinie von den Vereinigten Staaten bis nach Mexiko zu verwirklichen. Auf der Hochzeit von Brokstons Tochter erreicht die Gäste allerdings die Kunde von einem grausamen Verbrechen. Ein zwölfjähriges Mädchen wurde vergewaltigt und ermordet, doch hat man bereits einen Schuldigen ausgemacht: Cuchillo, ein mexikanischer Vagabund, der sich bereits auf der Flucht über die Sierra Madre befinden soll. Und so holt Corbett seine Colts vom Nagel und begibt sich auf die Jagd, doch je häufiger ihm der gerissene Cuchillo durch die Finger schlüpft, desto größer werden seine Zweifel daran, dass er tatsächlich hinter dem richtigen her ist.
Zum Auftakt seiner persönlichen Western-Trilogie, die er mit Von Angesicht zu Angesicht und Lauf um dein Leben im Jahresrhythmus weiterführen sollte, schuf Regisseur Sergio Sollima gleich eines der frühen Meisterwerke des Genres. Der Gehetzte der Sierra Madre gehört in jederlei Hinsicht zu den ganz Großen unter den Spaghetti-Western.
Sollima versteht es, seine durch und durch spannende wie actiongeladene Menschenhatz immer wieder mit interessanten Episoden rechts und links des Weges zu spicken und dabei stets politische wie philosophische Botschaften einzuflechten. Der Rassismus gegenüber den Mexikanern ist dabei ebenso ein Thema wie Armut, soziale Ungerechtigkeit oder auch menschliche Einsamkeit. In einer Episode trifft Corbett auf einen Mönch, der ihm als ehemaliger Pistolero auf Augenhöhe begegnen kann. Mit einer Sinnfrage und der Feststellung, dass nicht immer der Jäger der freie Mann ist, trifft er Corbett ins Gewissen und genau den Nerv des Films. Dieser liefert allerdings auch immer wieder komische Momente, die zumeist auf Cuchillos Konto gehen. Mit diesem kreierte Sollima einen echten Genre-Prototyp, dessen Charakter den Kikuchiyo aus Akira Kurosawas Die sieben Samurai in eine mexikanische Version abwandelt und dessen Name an Aldo Sambrells Rolle als einer von Indios Männern in Für ein paar Dollar mehr angelehnt ist. Dass diese Figur später ein fester Bestandteil des Italowestern-Repertoires werden sollte, ist in erster Linie Tomás Milián zu verdanken, der im selben Jahr erst sein Western-Debüt in Ohne Dollar keinen Sarg gefeiert hatte. Hier verkörpert er erstmals die Rolle des quirlig-quasselnden Herumtreibers, mit der er heute untrennbar verbunden und die ihm wie auf den Leib geschrieben scheint.
Als Gegenpol steht dem leichtfüßigen Strolch Chuchillo der eiskalte Kopfgeldjäger Corbett gegenüber. Lee Van Cleefs Rolle kommt mit ihrer Professionalität und dem aristokratischen Anstrich jener aus Für ein paar Dollar mehr sehr nahe, für welchen Sergio Leone den US-Mimen mit den unverkennbaren Gesichtszügen ein Jahr zuvor aus der Versenkung geholt hatte. Hier steht der ehemalige Zweite-Reihe-Schurke amerikanischer Western nun - genau wie sein Gegenspieler Tomás Milián - am Beginn einer herausragenden Italowestern-Karriere.
Rund um diese beiden Ausnahmedarsteller tummelt sich neben Walter Barnes als Brokston und Fernando Sancho als mexikanischen Capitano allerhand bekanntes und bewährtes Genre-Volk wie Nieves Navarro, Benito Stefanelli oder Antonio Casas. Damit ist Der Gehetzte der Sierra Madre bis in die kleinsten Nebenrollen herausragend besetzt und leistet sich sogar den Luxus, Corbett einen markanten Recken wie Nello Pazzafini bereits in der Eröffnungssequenz mit Blei füttern zu lassen. Ein Kniff, den Sergio Leone in Spiel mir das Lied vom Tod übrigens zu perfektionieren wusste. Dass Pazzafini und seine beiden todgeweihten Kumpane sich dabei zunächst perspektivisch verschoben hinter drei Pistolenkugeln zu verstecken scheinen, ist nur eines der vielen optischen Details, die Sollima gemeinsam mit Kameramann Carlo Carlini in seinen Film eingebaut hat. Die Totalen hingegen sind weitestgehend dominiert von der andalusischen Landschaft, die maßgeblich den abwechslungsreichen und stets authentischen Look des Films vorgibt. Ob mexikanisches Pueblo oder die finalen Duelle im staubigen Wüstensand, Der Gehetzte der Sierra Madre verbreitet mit jeder Pore unverfälschte Italowestern-Atmosphäre, meisterlich untermalt von den Klängen Ennio Morricones.
Was Sollimas Film aber über Spannung und Action sowie visuelle und darstellerische Klasse hinaus zu einem außergewöhnlichen Western macht, sind die Charakterisierung und die Entwicklung der Figuren und die Bedeutung, die ihnen zukommt. Cuchillo eignet sich mit seiner respektlosen, freiheitsliebenden Art großartig als Reflektionsfläche für jegliche Form von Benachteiligung oder Unterdrückung und damit auch wunderbar als Identifikationsfigur für eine eher linksorientierte Jugend. Brokston hingegen repräsentiert das genaue Gegenteil, ein kapitalistisches Scheusal, das nach immer mehr Besitz strebt und glaubt, sich Menschen und Gesetze mit seinem Geld gefügig machen zu können. Seine und die Dekadenz der der anderen Mitglieder der feinen Gesellschaft wird von dem österreichischen Baron von Schulenberg auf die Spitze getrieben. Der von Gerard Herter verkörperte Kunstschütze ist nach Amerika gekommen, weil ihm in der alten Welt die Duell-Gegner ausgingen und findet wie auch Brokston geradezu pathologischen Gefallen an der Menschenjagd. Mit seinem Monokel scheint er eine Karikatur auf die europäische Arroganz gegenüber den unkultivierten Cowboys, Pionieren und natürlich den Mexikanern. Sein brauner Gehrock mit dem schwarzen Ledergürtel erinnert sicher nicht zufällig an eine SA-Uniform, was vielleicht ein Grund dafür gewesen sein mag, dass die Rolle seinerzeit komplett aus der deutschen Fassung herausgeschnitten wurde – wie leider auch einige weitere, für die Botschaft des Films unverzichtbare Szenen.
Zwischen diesen beiden, auch politischen, Extremen steht nun Corbett, der als Kopfgeldjäger bereits dem Dollar den Vorzug gegenüber der Moral gegeben hatte. Dennoch ist er der einzige, der seinen eigenen Standpunkt ernsthaft hinterfragt, aus seinen Fehlern lernt und eine echte Entwicklung durchlebt. Sollima lässt keinen Zweifel an seinem Standpunkt, bettet seine politischen Ambitionen aber derart gekonnt in die Handlung ein, dass Der Gehetzte der Sierra Madre zwar höheren Ansprüchen genügt, aber auch auf der reinen Action- und Unterhaltungs-Ebene seinen Platz unter den Meilensteinen des Italowesterns sicher hat.

>>Strick oder Kugel?<<
               Es ist keineswegs so, als ließe Kopfgeldjäger Corbett seiner Beute nicht die Wahl

Alternatives aus der Titelschmiede: The Big Gundown, Cuchillo der Vollstrecker, La presa